Wenn
sich ein steinerner Wasserspeier in eine Menschenfrau verliebt ...
„Töte sie!“
Die Stimme, die ihn aus seinem Nickerchen riss, kam Gaspard
bekannt vor. Er sah sich verschlafen um, konnte aber außer ein
paar Straßenkehrern niemanden entdecken. „Wer spricht da?
Was wollen Sie?“ Unter seinen Füßen schien der Dom zu beben
und er klammerte sich an seinem Sockel fest.
„Töte sie!“
Eisige Kälte kroch bis ins Innerste von Gaspards Steinkörper, ob-
wohl die Temperaturen in dieser Sommernacht kaum unter 20
Grad gesunken waren.
„Du bist das? Bist du das, Luzifer?“
Ein dröhnendes Lachen antwortete ihm. „Luzifer, Teufel, Höllen-
fürst, Satan. Die Menschen haben mir viele Namen gegeben.
Voland, Mephisto oder Herr der Fliegen. Nenn mich, wie du
willst!“
„Warum bist du gekommen? Jetzt, nach all der Zeit?“Gaspard
konnte die Beunruhigung in seiner Stimme nicht verbergen.
„Wir haben einen Pakt geschlossen, erinnerst du dich?! Vor genau
sechshundertsiebenundneunzig Jahren.“
Gaspards schauderte. Wie hätte er seine erste Begegnung mit
dem Teufel vergessen können.
„Aber was willst du von mir? Ich habe niemandem etwas getan.“
„Das ist es ja eben.“ Wieder lachte sein unsichtbarer Gesprächs-
partner.
„Kannst du dich nicht zeigen? Es irritiert mich, wenn ich dich
nicht sehen kann.“
„Ich bleibe nicht lange. Ich wollte dich nur daran erinnern, dass
du Sophie töten musst.“
Das Gebäude schwankte jetzt heftiger unter Gaspard und von
Sekunde zu Sekunde fror er stärker. Er zitterte und seine Schwin-
gen machten am Körper ein leise klapperndes Geräusch.
„Ich liebe Sophie. Wie könnte ich sie töten?“ Seine Stimme klang
heiser.
Luzifer kicherte zufrieden. „C’ est ça, mein lieber Gaspard, la
gargouille. Du liebst. Aber es ist dir verboten zu lieben. Erinnere
dich! Entweder du tötest Sophie oder …“ Ein Brausen erhob sich
und der Gargyle wurde von stechendem Wind getroffen. „Oder
du wirst endgültig wieder zu Stein.“
„Aber ich …“
Wind und Kälte verschlugen Gaspard die Sprache. Die Kathedrale erzitterte in
ihren Grundfesten und machte dabei ein donnerndes Geräusch, das die Mitarbeiter
der Straßenreinigung zusammenzucken ließ.
„Ich komme morgen wieder“, rief der Teufel noch; dann wurde es still.
Totenstill ...
© Anja Wedershoven
Die fantastische Geschichte gibt es demnächst auch als „App“ fürs Smartphone auf
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